Vor zwei Wochen ist eine große Idee von mir Wirklichkeit geworden. Als das Coronavirus anfing, unser Leben einzuschränken, setzte ich schnell etwas dagegen – den Sport. Sportliche Aktivitäten waren immer schon Bestandteil meines Lebens. Doch nun war aus dem Spaß in der Freizeit eine Art mentale Überlebensstrategie geworden.
Und so wurde das Wandern ein Teil meiner sportlichen Interessen. Vor Corona hätte ich darüber gelächelt. Doch jetzt war dies eine einzigartige Möglichkeit, trotz aller übertrieben Kontaktverbote, mit Menschen in Verbindung zu treten.
Schnell begann ich am Wandern Gefallen zu finden. Und so wurden die Routen immer ausgefeilter und zu kleinen Herausforderungen. Weihnachten 2020 wagte ich dann die ersten 50 km.
Alles lief so perfekt, dass in mir Wochen später der Wunsch reifte, einmal 100 km am Stück zu laufen. Immer unter dem Blickpunkt der gesundheitlichen Vernunft wurden die Strecken länger und länger. Als positiver Nebeneffekt profitierten davon auch meine anderen Sportarten. Einen Marathon lief ich inzwischen aus dem Stegreif.
Was ich besonders an dieser Aktivität liebe? Es sind die Planungen. Immer gründlich analysierend und auf der Suche nach Optimierungen. Wo es am Ende hakt oder nicht funktioniert, baue ich Änderungen ein. Im letzten Jahr war es dann soweit. Und so wagte ich Ende Mai 2021 einen ersten Versuch über die 100 km. Wie immer bei diesen meiner Aktivitäten gab es fest definierte Ausstiegspunkte. Orte, an denen ich bei Problemen jeglicher Art aus dem Projekt aussteigen konnte. Bei km 65 entschied ich mich damals aufzuhören, um dann am Ende bei km 75 auszusteigen. Die Belastung wurde zu groß und ich war weit hinter dem gedachten Zeitplan von 26 Stunden.
Ein Tag lang war ich ein darüber ein wenig traurig. Schon bald entwickelte ich jedoch die Idee eines zweiten Versuches. 4 Wochen nach dem Unternehmen fuhr ich 230 km mit dem Rad. Schon damals setzte ich die ersten Ideen der gründlichen Analyse des ersten Versuches um. So verzichtete ich auf die Mitnahme von vielen Getränken und übermäßiger Verpflegung. Stattdessen nutzte ich Tankstellen und Discounter, um die Nahrungsmittel für die nächsten Teilstrecken aufzunehmen.
Vor vier Wochen zeigte es sich, dass meine Kriterien für einen zweiten Versuch immer erfüllbarer wurden. Und so wagte ich am 28.07.2022 nach gründlicher Vorbereitung einen zweiten Versuch. Was am Ende dann für mich überraschend war, ich schaffte diese unglaubliche Strecke unter der magischen Grenze von 24 Stunden. Ich bin sehr stolz, dieses Vorhaben erfolgreich abgeschlossen zu haben. Und wie immer bei den ganzen Erfolgen der letzten vier Jahre, dankbar, dass mir das Leben mit 56 Jahren auch hier eine neue Chance gegeben hat.
An incredible dream has come true.
Die Vorbereitung
Eigentlich fingen die Vorbereitungen schon mit der ersten Idee an. Damals beobachtete ich genau, wie sich mein Körper beim Wandern langer Strecken verhält. Nachdem ich den ersten Versuch im Jahr 2021 abgebrochen hatte, lernte ich weiter dazu. Eine von mir aufgestellte Regel erwähnte ich bereits am Anfang dieses Artikels. Beim ersten Mal packte ich mein Rucksack so umfassend, damit ich für die 100 km mit Getränken und Lebensmittel gerüstet bin. Doch das war aus heutiger Sicht ein Kardinalfehler. War das Tragen der Vorräte zu Beginn einer Tour noch erträglich, so wurde der Rucksack trotz aller Entnahmen im Laufe der Zeit immer schwerer.
Zusätzlich plante ich die Mitnahme der notwendigen Technik. Das war zunächst einmal mein Garmin Forerunner 245, mein Handy, drei Powerbanks und eine Stirnlampe für die Nacht. Für die Uhr packte ich dann auch noch das passende Ladegerät mit ein. Der Plan war hier in den Pausen die Uhr und das Handy wieder aufzuladen. Auch das war eine gelernte Lektion aus den vergangenen Aktivitäten.
Nichts macht einen nervöser, als der Blick auf ein Navigationsmittel, das sich mit der Energie immer weiter in Richtung 0 % neigt. Und bei einer Zeit um die 24 Stunden war da eine Lösung einfach erforderlich.
Das Wetter
Bei diesen langen Aktivitäten ist das Wetter eine mitentscheidende Komponente. Regnet es, benötigt man zusätzlich Regenkleidung. Scheint die Sonne, benötigt man zumindest Sonnencreme. Doch die entscheidende Frage ist, bei welchen Wetter ich mich am wohlsten fühle. Und wenn die Aktivität wie in diesen Fall über 24 Stunden gehen soll, dann muss dieser Zeitraum alle diese Komponenten berücksichtigen.
Es ist schon seit Kindheitstagen mein Hobby, das Wetter zu beobachten. Heutzutage gibt es teilweise bis zu 10 Tagen genaue Voraussagen. Die Trefferquote der Vorhersagen steigt mit jeden Tag, der das Ereignis näher kommen lässt. Und so sind mit diesen Mitteln optimale Planungen möglich.
Gleichzeitig prüfe ich mehrere Wetterquellen. Auch hier ist der Hintergrund simpel. Jede Plattform hat ihr bestimmendes Wettermodell, auf das die Vorhersagen beruhen. Und so macht es auch hier wieder die Mischung. Ich nutze hierfür die Plattformen Accuweather, Wetter.de, die Standardwetterapp meines Handys und die Wettervorhersagen der ARD.
Und nicht immer geht es dann ganz auf. Circa 10 Tage vorher lag die Vorhersage für die Route, bei 23 Grad. Das war fast durchgängig bis 5 Tage vorher so. Dann regelten sich die Werte nach und nach in höhere Regionen ein. Und auf einmal waren wir bei Tageshöchsttemperaturen um 27 Grad. Nachts sollten diese dann auf 17 Grad sinken, was dann gerade für das Ende des Marsches eine große Bedeutung hatte. Die größten Bedenken hatte ich mit den Tageshöchsttemperaturen. Mir war klar, dass ich das Trinkverhalten an den Gegebenheiten anpassen musste.
Mentalität der Schlüssel
Mit meinen Lebensänderungen, die vor 4 Jahren begannen, lernte ich mit plötzlichen Veränderungen umzugehen und diese zu bewältigen. Und genauso lief es mit länger geplanten Änderungen und den Schlussfolgerungen daraus. Dazu kam rasch die Lust neue Dinge auszuprobieren, Kritiken sich anzuhören und wenn es mir logisch erschien diese auch einfach für mich passend anzunehmen.
Jetzt fragt man sich vielleicht, was das Eine mit dem Anderen zu tun hat. Nun, die Antwort darauf ist geradezu unspektakulär. Solche außergewöhnlichen Aktivitäten benötigen diese Eigenschaften. Die Analyse, was man erreichen möchte und diese immer wieder zu überprüfen. Manchmal kompromisslos und doch immer eines im Blick – die eigene Gesundheit und Leistungsfähigkeit.
Viel Erfahrung gab mir auch das langsame Herantasten an Situationen, die ich zunächst als kritisch empfand. So war die Überwindung nachts allein durch die Gegend zu laufen, ein großer Erfolg für mich. Hatte ich sonst immer Angst und einen großen Respekt, verschwand dieses Gefühl im Laufe der Zeit. Inzwischen ist das Laufen in der Nacht eher ein großes Geschenk für mich. Ich liebe den Trubel unter Menschen zu sein und neue Gesichter zu sehen. Doch ich mag diese Gegensätze. Und so ist das Laufen in der Nacht inzwischen eine Quelle der Ruhe, Besinnlichkeit und Tankens von neuen Gedanken und Ideen.
Die Verpflegung
Wie schon erwähnt, verzichtete ich dieses Mal auf die Mitnahme der kompletten Ernährung und „tankte“ unterwegs auf. Gelernt hatte ich außerdem, dass man die zu erwartende Energie von rund 7000 kcal für die nächsten 26 Stunden nicht bis zum Ende verplanen muss.
Zunächst bemerkte ich auf kleineren Strecken, dass eine Verpflegung im Rhythmus von 2 Stunden völlig ausreichend ist. Und so nahm ich, infolgedessen, nur ein paar Schokoriegel und etwas Gebäck mit Nugatfüllung mit. Auch auf die Mitnahme von Powersportnahrungsmittel verzichtete ich dieses Mal. Diese Produkte sind teuer und schmecken einfach unangenehm.
Ähnlich verfuhr ich mit den Getränken. Hier nahm ich nur 1,5 l Wasser mit und füllte den Vorrat unterwegs immer wieder in der Größenordnung auf. Hier war es meine Gewohnheit, jede Stunde zu trinken. Wie sich schnell herausstellte, war aufgrund der steigenden Temperaturen, eine Anpassung der Rhythmen notwendig. Und so trank ich ab km 26 dann alle 30 Minuten ungefähr 0,5 Liter.
Die Planung der Strecke
Geplant habe ich die Route mit Komoot. Ich verwende dabei jedoch einen kleinen Trick. Die Planung als Wanderung führt einen fast ausschließlich über Fuß- und Waldwege. Das ist sympathisch, wenn man einmal etwas Besonderes erleben möchte oder die Strecke kürzer ist. Leider ist die eingebaute „Künstliche Intelligenz“ nicht so intelligent, dass sie sich auf die einzelnen Bedürfnisse der Aktivität anpassen lässt. Also verwende ich statt der Sportart Wandern – den Radmodus zum Erstellen von Strecken.
Das Ergebnis war dann eine Strecke, die meist über Radwege führte und sich für längere Wanderungen mit sportlichem Charakter perfekt eignen. Auch mit dieser Methode, hat man dann immer noch unzählige Möglichkeiten sich die Natur anzuschauen und zu genießen.
Einen kleinen Haken bei diesem Vorgehen gibt es trotzdem. Kurze Streckenabschnitte führen den Wanderer auch über B-Straßen. Das Ganze war auf die 100 km bezogen, ungefähr auf 10 km beschränkt. Das muss man mögen. Und halt auch vorsichtig sein. Falls mir ein Auto zu nah kam, bin ich einfach links ran und habe kurz angehalten.
Zudem ist es wichtig auf Komoot die automatische Streckenplanung bei Abweichungen zu deaktivieren. Ansonsten kommt am Ende die ganze Planung durcheinander.
Nach der Planung habe ich mir das GPX exportiert und zusätzlich in die APP GPX-Viewer und in meinen Garmin Forerunner geladen. Der Vorteil der zusätzlichen APP-Lösung liegt auf der Hand. Ein Klick und ich hatte dann immer eine schnelle Übersicht, wo ich war. Komoot ist beim Zoomen etwas schwerfällig und lenkt nur zusätzlich ab.
Mein Handy habe ich in die Tasche gesteckt und den Lautsprecher auf Laut gestellt. Komoot hat mir dann Richtungsänderungen immer korrekt und laut angesagt. Auf der Garmin Uhr hatte ich die Navigation kaum gebraucht. Dennoch schwebt bei der Anzeige der Sportdaten immer ein kleiner roter Pfeil über diesen. So konnte ich mit nur einem Blick mir eine Bestätigung einholen, dass ich mich auf der geplanten Route befand. Der Forerunner zeigte mir unter anderem die Schrittfrequenz, die gelaufenen km und die aktuelle Uhrzeit an. Inzwischen kenne ich meinen Körper so gut, dass ich die aktuelle Herzfrequenz relativ gut abschätzen kann. Die Anzeige der Herzfrequenz würde zudem wesentlich mehr Strom verbrauchen. Und so waren mir diese Daten nicht so wichtig.
KM 0–31
Aufgestanden bin ich um 02:30 Uhr. Mein Plan war um 4:00 Uhr zu starten. Da das Frühstück etwas länger dauerte, als geplant, wurde daraus 4:15. Erst mit dem Aufstehen traf ich wirklich die finale Entscheidung, diese Challenge zu wagen. In aller Ruhe prüfte ich noch einmal meinen Rucksack auf Vollständigkeit. Wie beim ersten Versuch im Jahr davor, waren Pflaster, Verbandszeug und Sonnenschutzcreme dabei. Bekleidet war ich relativ leicht. Nur eine Jacke für die kommende Nacht hatte ich vorsichtshalber auch eingepackt.
Und auf einmal stand ich draußen an der frischen Luft. Die Nacht schlich sich so langsam davon. Jetzt hieß es, den besten Rhythmus zu finden. Die Technik hatte ich am Abend schon so eingestellt, dass ich sie nur noch starten musste.
Ein wenig müde war ich trotzdem. Doch kaum war ich die ersten Meter gelaufen – war er da – der Wille die 100 km zu schaffen. Bei den letzten längeren Wanderungen hatte ich bemerkt, dass sich meine Geschwindigkeit bei längeren Strecken merklich erhöht hatte. Geplant hatte ich ganz bewusst nur mit 4 km/h. Ich wollte den positiven Effekt im Zeitplan zu sein oder gar etwas darunter während der 100 km ganz bewusst mitnehmen. Ein weiterer mentaler Trick, den ich aus den Erfahrungen des letzten Jahres für mich erfand.
Mein Vorhaben dieses Mal nur wenige Videoaufnahmen zu machen, bröckelte etwas, als ich den km 11 erreichte. Die Sonne ging auf und auf einmal krähte ein Hahn. Herrlich, dieses kleine Schauspiel der Natur zu erleben. Also zog ich das Handy aus der Tasche und trällerte dazu den alten Kanon „Wachet auf, wachet auf es krähet der Hahn….“
KM 31–67
Nach den ersten 30 km gab es die erste von 3 großen geplanten Pausen. In einer Bäckerei gönnte ich mir ein riesiges belegtes Käsebrötchen und eine Tasse Kaffee. Eigentlich sollte diese Pause schon bei km 25 sein. Doch alles lief so prima, dass ich auf die passende Bäckerei warten konnte. Gleichzeitig holte ich mir eine neue 1,5 l Wasserflasche. Bereits 5 km vorher, beschloss ich aufgrund des sich überraschend anbahnenden Sommertages, alle 30 min eine „Trinkpause“ einzulegen. Das tat ich wie gelernt im Gehen.
Mit der Pause verbunden, war dann der erste auswertende Blick auf die bisher gelaufene Zeit und über die erste Schätzung der überraschenden frühen Ankunftszeit. Ich war damit jedoch weiterhin vorsichtig. Denn es konnte noch sehr viel passieren.
Nach der Pause änderte sich nichts am Rhythmus und die morgendliche Müdigkeit war längst verflogen. Und so lief ich völlig unbeschwert einen km nach dem anderen. Und dieses Mal entdeckte ich auch etwas zusätzliches Neues. Das Tragen von Kopfhörern und mit dem damit verbundene Hören von Podcasts und Musik gehörte bisher zum Standardrepertoire. Doch dieses Mal spürte ich, dass das nicht notwendig sein wird. Zudem hatte es auch noch einen großen Vorteil. Der mechanische Reiz beim Tragen der Kopfhörer wird bei längeren Touren unangenehm. Man bekommt zu einem anderen Zeitpunkt Kopfschmerzen und man verliert dich dabei viele Eindrücke der Natur. Also verzichtete ich dieses Mal komplett darauf, obwohl ich sie bei mir hatte. Und so erlebte ich die Tour wesentlich intensiver.
KM 68–75
Beim km 50 wäre eigentlich die zweite große Pause gewesen. Ich wollte unbedingt jede Menge kcal bei MC Donalds essen. Schließlich hatte ich bis dahin schon fast 4000 kcal verbraucht und davon rund 2800 zu mir genommen. Doch es war an meiner geplanten Route einfach kein MC‘s aufzutreiben. 2 x hatte ich die Chance, jedoch wären das ca. 5 km Umweg gewesen. Also verzehrte ich alle zwei Stunden weiter meine Milchbrötchen und Riegel.
Alles war vollkommen entspannt. Und so lief ich locker und leicht immer weiter. Aufgrund der stetig steigenden Temperaturen füllte ich bei Discountern die Trinkvorräte ständig wieder auf. Im Laufe der Zeit kam ich dann zu dem Entschluss noch richtig essen zu gehen, um für den zu erwartenden „Hammer“ gerüstet zu sein.
Und so legte ich gegen 19:00 Uhr bei einer Kölner Burgermanufaktur die zweite große Pause ein. Als ich mich dann hinsetzte, merkte ich, dass mein Magen doch sehr an der Grenze der Verarbeitungsbereitschaft war. Ich wusste, ich muss essen, um die Herausforderung zu bestehen. Das Gefühl war meiner Marathonerfahrungen ähnlich. Ein dumpfes flaues Gefühl, das weit entfernt von einer Übelkeit war. Es bedeutete einfach, dass das körpereigene System auf Hochtouren läuft.
Also aß ich ganz langsam. Von den Pommes schaffte ich jedoch nur die Hälfte. Ich ließ mir dennoch alle Zeit der Welt und nahm das zweite Video auf. Mental bereitete ich meine Strategie auf die entscheidenden Kilometer vor. Als ich von meinem Stuhl aufstand, merkte ich zum ersten Mal die extreme Belastung. Es gab keine Krämpfe, wie ich sie manchmal kenne, doch von den Waden ging eine gewisse Schwere und Müdigkeit aus. Und so konnte ich erst ganz langsam gehen. Nach ungefähr 50 Metern verschwand jedoch dieses Gefühl. Und so startete ich für die Nacht gerüstet, in die entscheidende Phase meines Vorhabens.
KM 76–99
Es war die alles ausschlaggebend Wegstrecke. Ich war mir sicher, wenn ich die 75 km schaffe, dann ist das Ausscheiden aus dem letzten Jahr Geschichte. Und ich wusste, bei diesem Meilenstein fängt das Unternehmen 100 km hintereinander zu laufen, noch einmal von vorn an und die Karten werden neu gemischt.
Und so kam es auch. Langsam bemerkte ich Blasen an den Fußsohlen im vorderen Bereich. Solang ich lief, taten die Beine kaum weh. Machte ich eine Pause, benötigten die Füße erst wieder etwas Schwung, um wieder in den Rhythmus zu kommen. Und obwohl der Rucksack im Vergleich zum Vorjahr so leicht war, merkte ich das restliche Gewicht deutlich.
All das war jetzt nichts Unbekanntes. Viel hatte ich über 100 km Wandererfahrungen anderer Menschen gelesen. Und diese kamen mir vereint mit meinen eigenen Erfahrungen und meiner mentalen Willensstärke sehr zugute.
6 Wochen vorher bin ich nach einem Konzert in Köln den letzten Abschnitt mit rund 40 km schon einmal gelaufen. Dieser emotionale Trick, die Strecke schon einmal geschafft zu haben, sollte mir so viel Zuversicht geben, dass ich das letzte Kapitel besser bewältigen konnte. Und der Plan ging auf.
Auch wenn es immer schwieriger wurde, sagte ich mir immer wieder:
Komm, das hast Du doch schon einmal geschafft. – Nach einem kräftezehrenden Konzert. – Das geht jetzt auch!
Frank
Als ich beim Kilometer 80 angelangt war, schrieb ich meinen Freunden. Ich schaffe es! Ich war mir jetzt so sicher. Ab km 85 machte ich wohlüberlegt alle 2–3 km eine Pause von rund einer Minute. Ich trank einen Schluck und ließ etwas Wasser auf den Beinen hinablaufen und genoss ganz in Ruhe diesen Effekt. Auch ein Trick aus meinem neuen Lebensabschnitt. Mit Ablenkungen Stresssituationen austricksen.
Der Schmerz der Blasen war inzwischen etwas größer geworden. Ich zog die Wanderschuhe und -strümpfe aus. Gönnte ich mir auf den betroffenen Stellen ein Pflaster. Dabei beobachte ich, dass meine Füße inzwischen so angeschwollen waren, dass sie die Schuhe komplett ausfüllen. Und das bei einem drei Größen größeren Schuh.
Auch das war nichts Überraschendes. Und so ging es weiter. Um den Druck von den Blasen und von den Füßen direkt weiter zu reduzieren, versuchte ich zunächst barfuß zu laufen. Das funktionierte jedoch nicht. Also zog ich die Strümpfe wieder an und versuchte es damit. Doch auch das brachte keine Entspannung. Ich überlegte in aller Ruhe, was ich noch tun könnte. Da kam ich auf die Idee, mit bloßen Füßen in die Schuhe zu steigen. Und siehe da, die Füße hatten wieder etwas Platz und den Blasen gefiel es auch.
Zeitgleich entsorgte ich alles Überflüssige aus dem Rucksack. Trotz der geringen Menge an Dingen, die ich bei mir trug, fühlte sich dieser immer schwerer an. Und so wichen neben zwei Powerbanks (eine hätte übrigens vollkommen ausgereicht) auch nicht mehr benötigte Schokoriegel. Für die restliche Strecke waren diese Dinge nicht mehr notwendig.
Von einer Müdigkeit war übrigens nichts zu spüren. 24 Stunden waren inzwischen vergangen als ich aus dem Bett aufstand. Bei einer der kurzen Pausen kam eine Radfahrerin im Dunkeln vorbei und fragte mich, ob alles gut wäre. Oh ja, das war es. Mir ging es gut, obwohl mein Körper wie erwartet auf die Dauerbelastung reagierte.
Ab km 90 motivierte ich mich durchs laute Fragen.
„Frank, was willst Du? – 100 km schaffen! – Go, Go, Go Fraenkie!“ antwortete ich mir immer wieder lautstark.
Frank
KM 100
Ungefähr 15 km vor dem Ziel beschloss ich die Route etwas umzuplanen. Statt meinen Wohnort anzulaufen, war nun das Ziel der Bonner Marktplatz. Damit sparte ich mir 3 zusätzliche Kilometer. Die Umplanung machte ich alles im Gehen. Das lenkte mich zusätzlich von der sportlichen Belastung ab.
Es gab nur einen Haken. Für 100 km fehlten mir 800 Meter. Für das Ergebnis war das nicht wichtig. Doch für die Motivation genau 100 km zu laufen war es umso wichtiger. Also plante ich gleich mit ein, am Zielort den Bonner Marktplatz noch einmal in Richtung Hauptbahnhof zu verlassen und von dort wieder zurückzukehren.
Was ich nicht wusste, es wurden die wohl schwersten 800 Meter meines Lebens. In meinen Kopf stellte ich mir zwei Stadionrunden vor. Ganz langsam ging ich. Stehen blieb ich nun nicht mehr. Die Endorphine hatten längst das Kommando übernommen. Ganz langsam peilte ich eine Bank vor dem Bonner Rathaus an. Noch 100 Meter, noch 80 Meter, noch 70 Meter….
Glücklich erreichte ich die Bank und hatte Tränen in den Augen. Wieder einmal hatte ich wie in den letzten Jahren zuvor ein scheinbar unmögliches Ziel erreicht.
Und dann der Blick auf die Uhr 23 Stunden und 20 Minuten…..