Es ist der 24.02.2022. Ich wachte morgens auf und startete wie immer das Radio. Eine Meldung ließ mich aufhorchen. Der Präsident der Russischen Föderation erklärte in der vergangenen Nacht der Ukraine den Krieg. Mein erster Gedanke war, ich habe mich einfach verhört. Doch der laufende Radiosender BR24, eines der besten Informationssender Deutschlands, sprach eine andere Sprache.
Es war die Sprache der bitteren Realität. Es war der Kampf meiner Gedanken gegen das Unglaubhafte. Je mehr ich die Worte der Erklärung des Ministerpräsidenten vernahm, stieg in mir das unabänderliche Gefühl der Traurigkeit auf. Ein Gefühl der Enttäuschung, ein Gefühl der Hilflosigkeit.
Ich bin nicht überzeugt
Ein Blick zurück. Am 08.02.2003 gab es auf der Münchner Sicherheitskonferenz nur ein Thema. Der Irak sollte, so wurde der Öffentlichkeit gesagt, angeblich Massenvernichtungswaffen herstellen. Der amtierende US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld setzte alles daran, der Welt glaubhaft zu machen, dass dies die Realität ist. Sechs Wochen später begann der zweite Golfkrieg.
Es war der damalige Außenminister Joschka Fischer, der sich auf der Konferenz klar gegen das Vorhaben positionierte. Nie werde ich den versteinerten Blick vergessen, der während seiner Rede das Pokerface von Rumsfeld kreuzte.
Excuse me, I am not convinced. This is my problem. And I cannot go to the public and say, these are the reasons‘, because I don’t believe in them.
Joschka Fischer hatte berechtigterweise Zweifel. Es gab diese Bestrebungen nicht. Es war alles unwahr. Die Welt wurde von den USA belogen, um einen Grund für einen Angriff gegen den Irak zu haben.
Sollte es jemals einen Augenblick gegeben haben, der mich aufforderte, Entscheidungen zu militärischen Auseinandersetzungen, anzuzweifeln, zu hinterfragen und so gut es geht vorurteilsfrei zu überprüfen, dann war es dieser Moment.
Das alles geschah, 4 Jahre nach dem Eintritt der NATO in den Kosovo Krieg. Am 24.03.1999 begann die „Operation Allied Force“. In deren Verlauf kamen laut Angabe der Landeszentrale für politische Bildung mindestens 12.000 Menschen ums Leben. Ziel war es, die Vertreibung und die Ermordung von albanischen Menschen zu stoppen.
Der Einsatz erfolgte gegen den Willen Russlands. Völkerrechtler sehen die damaligen Aktivitäten, trotz aller Leiden, wie Vertreibung und Ausgrenzung der kosovarischen Bevölkerung kritisch. Die NATO habe damals gegen das im Artikel 2 Abs. 4 der UN-Charta formulierte Gewaltverbot verstoßen. Damit wäre, so die Juristen weiter, dieser Einsatz völkerrechtswidrig. Ich erinnere mich, dass es mir in den ersten Kriegstagen ähnlich ging, wie beim jetzigen russischen Angriffskrieg. Ich war sehr traurig. Mein Land engagierte sich im Kosovo Krieg militärisch. Es gab in diesem umkämpften Land, viel menschliches Leid und Elend. Doch der Gedanke das dort auf einmal deutsche Flugzeuge Menschen töten war schwer zu ertragen.
Der Herr Präsident vergisst nie
Viele kennen die entscheidenden Passagen aus der ersten Rede des russischen Präsidenten zum bevorstehenden Angriffskrieg. Zu meiner Überraschung, fand ich während der Recherche, mir bisher unbekannte Abschnitte. Quelle: Tagesspiegel.de
Man muss nicht weit gehen, um Beispiele zu finden. Erstens wurde eine blutige Militäroperation gegen Belgrad durchgeführt, ohne dass der UN-Sicherheitsrat dies genehmigt hätte. Mehrere Wochen andauernde Bombardierung ziviler Städte und lebenswichtiger Infrastrukturen.
Zitate aus der Kriegserklärung des russischen Präsidenten vom 23.02.2022
Aber auch die Invasion des Irak nimmt einen besonderen Platz ein, natürlich ohne jegliche Rechtsgrundlage. Der Vorwand war, dass die USA angeblich über zuverlässige Informationen über das Vorhandensein von Massenvernichtungswaffen im Irak verfügten.
Zum Beweis schüttelte der US-Außenminister vor aller Welt ein Röhrchen mit weißem Pulver und versicherte, dass es sich dabei um die chemische Waffe handelte, die im Irak entwickelt werden sollte.
Weiter führt der russische Präsident aus, dass der Westen beginnend mit den 90er Jahren versucht hat, Russland zu „zerschlagen, zu vernichten und endgültig“ zu zerstören. Wenig später verklärt er dann seinen startenden Angriffskrieg zu einer „besonderen militärischen Operation“, um Menschen zu schützen, die seit acht Jahren vom Kiewer Regime misshandelt und ermordet werden.
Danach werden die weiteren Ausführungen fast unerträglich. So behauptet der Präsident der Russischen Föderation, dass die Menschen in der Ukraine nie gefragt wurden, wie sie ihr zukünftiges Leben gestalten wollen. Schlichtweg war diese Aussage eine Lüge. Dieser Teil der Rede zeigt, dass der Präsident immer gefangen war, in der einstmals in Dresden praktizierten KGB Rhetorik. Demokratische Entscheidungen, die in freier Entscheidung getroffen werden, sind für ihn untragbar. Und das macht ihn so gefährlich.
Und so blicke ich in den Himmel, spreche zu Papa und sage zu ihm – Das hast du immer wieder zu uns gesagt. Wir haben dich dafür manchmal ausgelacht. Du hast gewarnt, wieder und immer wieder. „Er ist ein Verbrecher!“ – hast du gemeint. Entschuldigung, Papa, du hattest recht.
Chronik der demokratischen Entscheidungen in der Ukraine
- 01.12.1991 Referendum über die Unabhängigkeit von Russland
- Wahlbeteiligung 84,2 % – 92,3 % stimmen mit Ja davon 54,2 % auf der Krim
- 05.12.1994 Unterzeichnung des Budapester Memorandums
- Russland, USA und Großbritannien garantieren den Schutz der Grenzen der Ukraine und den Verzicht auf Anwendung von Gewalt
- 21.11.2013 Beginn der dreimonatigen „Euromaidan“ Proteste
- Auslöser war der Verzicht des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union durch die damalige ukrainische Regierung
- 21.02.2014 Flucht und Absetzung von Präsident Wiktor Janukowitsch
- 12.02.2015 Unterzeichnung Minsker Abkommen
- Befriedung des Gebietes in der Ostukraine
- 06.07.2017 Präsident Pedro Poroschenko unterzeichnet ein Gesetz, das die Nato-Mitgliedschaft als außenpolitisches Ziel definiert
- 20.05.2019 Wolodymyr Selenskyj wird der sechste Präsident der Ukraine
Angriffskrieg bleibt ein Verbrechen
In den ersten zwei Tagen des Krieges gegen die Ukraine suchte ich die TV-Stationen nach Informationen ab. Ein „Bild“ hat sich besonders in mein Gedächtnis eingeprägt. Das Tönen der Sirenen in Kiew. Danach wurden die Informationen in den bebilderten Medien von mir bewusst gemieden. Der Grund ist einfach. Es ist nicht zu ertragen. Blühende Städte werden in Schutt und Asche gebombt. Jegliche Infrastruktur wird bewusst zerstört. Menschen werden ermordet, weil sie Ukrainer sind. Soldaten sterben, weil sie ihr Land verteidigen. Kinder sterben, weil sie für ein aufstrebendes Land stehen. Und das alles nur, 1796 km von meinem Wohnort entfernt.

Wer all das zulässt, organisiert und inszeniert – der macht sich eines Verbrechens schuldig. Eingangs habe ich beschrieben, wie vorsichtig man mit Argumentationen sein muss, die versuchen Kriege zu rechtfertigen. Ich habe mich in den letzten Stunden sehr mit der Geschichte der Ukraine beschäftigt. Je mehr ich recherchiert habe, umso mehr spürt man, wie das Land mit Korruption und dem Umgang mit Minderheiten und regional bedingt sogar mit ethnischen Mehrheiten gerungen hat.
Man stößt auf viele Widersprüche. Nicht nur im Umgang mit Menschen, die sich der russischen Nationalität zugehörig fühlen. Dazu gehörten auch Menschen mit polnischen, ungarischen und rumänischen Wurzeln. Doch all das rückt derzeit zurecht in den Hintergrund.
Unrecht darf nicht vergessen werden
Der Gründer der Plattform adiuto.org, bezeichnete am 28.03.2022 die Spendenbereitschaft der Deutschen sogar mit der Metapher „im freien Fall“. Man spendet mal eben ein bisschen Geld und geht ansonsten zur Tagesordnung über. Ich fürchte, das ist ein völlig normales Verhalten. Der Mensch schützt sich so, vor der Brutalität, die ganz nah ist. Und selbst bei einer Demonstration gegen den Krieg in meiner Heimatstadt Bonn, sah man am 10.04.2022 viele Menschen aus der Ukraine, doch nur wenige aus unserem Land.

Umso tragischer sind dann die Autokorsos zu sehen, bei denen Menschen die russische Fahne schwenkend durch deutsche Städte ziehen. Vordergründig geht es um Benachteiligungen, die Menschen mit russischem Hintergrund in Deutschland erleben. Wäre dies so, dann fragt man sich, warum es gerade jetzt diese Meinungsäußerungen gibt.
Wir müssen es aushalten. Auch wenn es noch so unerträglich ist. Wir sind nicht Russland, in denen selbst die Verwendung des Wortes „Krieg“ ausreicht, um schwer bestraft zu werden. Dieser Angriffskrieg ist und bleibt ein Verbrechen. Wir dürfen nicht vergessen. Wir dürfen nicht schweigen.
Herr Präsident, ich hoffe sehr, dass sie sich eines Tages dafür verantworten müssen. Im Idealfall wäre das vor Ihrem eigenen Volk.