Es war so um die Weihnachtszeit als ich das erste Mal von Dir hörte. Und na klar, es war in China. Ziemlich weit weg. Geht mir nichts an, dachte ich, wie viele von uns. Doch dann kamst Du näher und näher. Und Du wurdest mir immer unheimlicher. Man sah die ersten Bilder aus Krankenhäusern, in denen Menschen an Atemgeräten angeschlossen waren. Unweigerlich dachte ich an Papa, der im Mai letzten Jahres verstarb und den ich in den letzten Minuten seines Lebens begleiten durfte. Einzig allein ein Atemgerät war es, das ihm noch ein bisschen Zeit auf dieser Erde schenkte. Die Bilder, die Du Corona in meinem Kopf entstehen ließest, wollten nicht enden. Mama, Mama ich bekomme keine Luft mehr – da war ich um die 6 Jahre herum. Am Nachmittag eines Sommertages im Jahr 1972 hatten wir uns in der Sommersonne mit einem Wasserschlauch abgekühlt. In der darauffolgenden Nacht veränderte sich in meinem jungen Leben einiges. Es langweilt Dich zu hören Corona? – Nerv mich nicht – da musst Du durch.
Was folgte, waren unzählige Arztbesuche. Mama und ich sind dann mehrmals in der Woche mit dem Bus und der S-Bahn gefahren. Immer 2 Stunden hin – 2 Stunden zurück. Und nebenbei ging sie arbeiten. Dr. Mittenzwei hieß der ältere Arzt. Corona ich habe ein schlechtes Namensgedächtnis. Aber den Namen habe ich behalten. Das will schon was heißen! Und wenn wir dann im Krankenhaus waren, dann nahm ich einen Schlauch und atmete wunderbare Salzluft. Es tat gut. Trotz aller Bemühungen fehlte ich in diesen Zeiten sehr oft in der Schule. In einem Schuljahr waren es allein 135 Tage. Und trotzdem habe ich kein einziges Schuljahr wiederholen müssen. Es war eine harte Zeit. Während andere Kinder spielten, fehlte ich, weil mir bei längerer Bewegung die Luft fehlte. Also saß ich zu Hause und während andere im Schulsport Ihre Kräfte maßen, saß ich am Rand und beobachtete das Treiben. Dann zogen wir in den Südosten der DDR.
Es dauerte nur wenige Tage und die Atemnot wurde von Tag zu Tag weniger. Ein kleines Wunder für mich. Gab es doch Braunkohletagebaue ohne Ende in der Nähe dieser Stadt. Nachts hörte man die Baggerschaufeln quietschen. Und es gab ein „Veredelungswerk“ mit dem tollen Namen „Schwarze Pumpe“. Damals das größte seiner Art auf der ganzen Welt. Es produzierte Strom und nebenbei viel Dreck. Diesen konnte man bei der richtigen Windrichtung auch gern mal an der frisch aufgehängten Wäsche in Form von schwarzen Flusen begutachten. Aber was sollte es, meiner Lunge tat dies gut. Ich spielte Fußball in einem Verein und hatte Spaß an jeder Form der körperlichen Bewegung. Ich war nie der Beste darin. Aber ich habe es geliebt. So sehr, dass ich in den späteren Jahren 5 mal ein Marathon gelaufen bin.
Nun habe ich Dir schon schön viel verraten. Du mordlustiges Ding, das Menschen krank macht und tötet. Wahrscheinlich macht es Dir Spaß. Und ich sehe Dein Gesicht. Hämisch lächelnd und mit Stolz auf die Newsticker starrend wie viele Menschen Du schon wieder hingerafft hast. Und das macht mir Angst. Weil ich weiß, dass Du rücksichtslos bist. In dem Moment als Du begannst auch in Europa Dein Unwesen zu treiben, da kamen in mir die ersten Erinnerungen und Ängste auf. Da gab, es den Tag als ich endlich wieder Arbeit gefunden hatte und nach 4 Jahren Abwesenheit wieder nach Berlin zurückgekehrte um in meinen neuen Beruf zu arbeiten.
Wir räumten meinen gesamten Hausstand, den ich 3 Jahre lang in Bayern gelagert hatte in meine neue Wohnung. Nach und nach fiel mir das Atmen schwerer. Soviel Jahre war ich davon verschont geblieben und dann warst Du aus einmal wieder da. Meine Neurodermitis, wegen der ich meinen alten Job verloren hatte, war durch eine Kur und vielen anderen Maßnahmen wie von Geisterhand verschwunden. Vergessen waren all die Schmerzen die unruhigen Nächte und die geheuchelten Blicke auf meine Haut. Dazu kamen eine prima Ausbildung in Nürnberg und endlich ein Job, in den ich mich verwirklichen konnte. Mein Bruder bekam in dieser Nacht einen großen Schreck. Dennoch lernte ich damit zu leben. Und es normalisierte sich alles wieder im Laufe der Zeit.
Dann 2015. Ich lebte schon längst in Bonn, nach einer normalen Erkältung, war sie wieder da die Atemnot. Nach der Kindheit war es das erste Mal, dass ich damit zum Arzt ging. Der Weg fiel schwer. Denn jeder Meter kostete Kraft und Luft. Asthma war die Diagnose. Oh, ich spüre Deine Fratze. Sabbernd fliegend –blutrünstig ganz aufgeregt. Geschützt durch unser Gesundheitssystem ging ich von nun an viermal im Jahr zum Asthma-Check. Diese Lungentests mag ich gar nicht so besonders. Doch es ist mehr als hilfreich. Im Laufe der Zeit konnten wir die tägliche Dosis auf ein Mindestmaß reduzieren. Und das ist cool. Ach ja, für Dich ja nicht Corona. Du hast es gern, wenn Menschen an Atemnot leiden – ich weiß.
Und ehrlich bin ich ziemlich sauer auf Dich. 2 Jahre lang, habe ich im Leben so vieles anders gemacht wie all die 52 Jahre davor. Ich hatte mich gewöhnt an Partys, feiernde Menschen, Freude und Spaß am Leben zu haben. Und dann kommst Du und machst vieles kaputt. Meinst Du zumindest…. Denn ich habe noch was vor. Dort weiterzumachen, wo ich und unsere Gesellschaft vor 3 Wochen jäh unterbrochen wurde. Und ja, ich sage, ich habe Angst vor Dir. Mein Alter und eben dieses Asthma, mit dem ich mich so arrangiert hatte, ist ein Grund dafür. Du freust Dich? Das ist zu früh.
Denn ich habe viel Glück und ich habe viel Respekt vor den Menschen, die Dir entschiedener Gegenübertreten als ich. Ich weiß diese hören es manchmal gar nicht so gern, wenn man sie jetzt lobt und Anerkennung zollt. Wer hätte früher schon sich bei einer Verkäuferin bedankt, beim Postboten, bei der Arzthelferin oder bei der Kinderbetreuung. Wer hat sich nicht schon selbst über den langen Arzttermin beklagt oder über den Busfahrer geklagt, weil er unfreundlich war! Und all diese Berufsgruppen verweisen berechtigterweise darauf hin, dass Ihre Löhne sich um einiges zu denen unterscheiden, die diese Dienstleistungen als allzu verständlich angesehen haben.
Und da wir vor Dir da waren, hast Du Corona das wohl eher von uns abgeschaut. Das kleine bisschen Rücksichtslosigkeit und Ignoranz gegenüber dienstleistenden Menschen.
20 Jahre meines Lebens habe ich selbst in einem Dienstleistungsberuf gearbeitet. Obwohl ich fast täglich 10 Stunden in der Küche stand und Essen für 3000 Menschen gekocht hatte, lernte ich so manche Herzlosigkeit und die Höhe der Gehälter kennen. Das hat mich geprägt. Und dieses Wissen, hat mich des Öfteren einschreiten lassen, wenn ich eine Ignoranz gegenüber Dienstleistern gespürt habe. Wenn ich mit Papa über solche Dinge gesprochen habe, dann sagte er immer „Du bist immer für die Schwachen“. Es passt nicht mehr so richtig, würde ich Papa heute sagen. Denn Ihr die in dieser Zeit für uns da seid, seid stark. Viel stärker als ich mit meiner Angst, dass der vor zwei Jahren eingeschlagene Weg vorzeitig enden könnte
Die Welt wird sich nach Dir ändern Corona. Wie das glaubst Du nicht? Mache Dir da bloß keine Illusionen. Auch diejenigen die heute noch denken sie wären jung und das geht schon alles mal wieder vorbei, werden die Welt morgen anderes erleben und verändern. Mach Dich vom Acker Corona!– Ich habe noch was vor.