Ende Januar gab Sigmar Gabriel sein Ende als Parteivorsitzender der SPD und zugleich den Verzicht auf die Kanzlerkandidatur für die kommende Bundestagswahl bekannt. Den politisch interessierten überraschte dies wenig. War doch die Übergabe an den jetzigen Chef der SPD schon lange vorbereitet gewesen.
Am 24. November 2016 erklärte Martin Schulz, auf Platz 1 der Landesliste des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen für den Deutschen Bundestag kandidieren zu wollen. Als dieser zur Europawahl im Jahr 2014 als EU-Europapräsident antrat, kannten diesen gerade einmal 27 Prozent aller Befragten. Wo also kommt die überraschende Beliebtheit des Kanzlerkandidaten der SPD her? Was begründet den angeblichen Stimmungswandel in den veröffentlichten Aussagen?
Berlusconi der Europäische Wegbereiter
Es war der 02. Juli 2003. Die italienische Ratspräsidentschaft begann damals alles andere als beispielhaft. Italien wurde seit 2001 von einer Mitte-Rechts-Regierung unter Führung des Unternehmers Silvio Berlusconi regiert.

In einer Antwort auf die Rede des seit 2 Tagen amtierenden Ratspräsidenten Berlusconi, griff Schulz den italienischen Ministerpräsidenten und seinen anwesenden italienischen Minister scharf an. Er ging sarkastisch auf den Vorredner Pöttering (CDU) ein, indem er von einer „euphorischer Form“ des Lobes über den anwesenden Berlusconi und seine italienischen Minister sprach.
An Berlusconi gewandt führte er weiter aus:
„Sie sind nicht verantwortlich, Herr Ratspräsident, für den Intelligenzquotienten Ihrer Minister, aber verantwortlich für das, was die sagen, sind Sie schon…..“
Im weiteren Verlauf der Rede setzte Schulz die Attacken gegen das in Italien geplante Immunitätsgesetz fort. Daraufhin antwortete Berlusconi:
„Herr Schulz, ich weiß, dass in Italien ein Filmproduzent gerade einen Film dreht über Konzentrationslager der Nazis: ich werde Sie für die Rolle des Kapo vorschlagen. Sie sind perfekt!“
Das diese Äußerung des italienischen Ministerpräsidenten nicht angebracht waren, erfuhr das europäische Parlament, nicht nur durch die Gegenrede von Martin Schulz. Bereits zwei Tage später, entschuldigte sich Berlusconi beim damaligen Kanzler Schröder in einem Telefonat.
Was blieb, war ein Bild vom heutigen Kanzlerkandidaten, der gern einmal Politiker über die Ländergrenzen hinweg bloß stellt, sofern die vertretende politische Richtung, nicht im Sinne des Herrn Schulz ist. Das diese in freier und geheimer Wahl gewählt worden sind, ist dabei nebensächlich. Dies brachte ihn bei seinen Parteifreunden im Europäischen Parlament einen gewissen Ruf ein, der mit der Wahl zum Vorsitzenden der Sozialistischen Fraktion im Europaparlament 2004 belohnt wurde.
Der Kampf gegen die Unbekanntheit
Das der alte Parteivorsitzende der SPD, von seiner Partei nicht mehr geliebt wurde, war spätestens seit dem Bundesparteitag der SPD am 11. Dezember 2015 kein Geheimnis mehr. 74,3 Prozent der Delegierten gaben ihm damals die Stimme. Doch dies war bei weitem nicht der alleinige Grund. Mehrmals legte sich Gabriel mit den Medien an. So in einem Interview mit Marietta Slomka am 28.11.2013 oder mit Bettina Schausten am 11.10.2015.
Was nach seinem Rückzug am 24.01.2017 übrig blieb, war ein Stern-Interview in dem er seinen Rücktritt erklärte, und dies zugleich mit einer erneuten Medienschelte verknüpfte. Wie unpassend für eine Zeit, in der man diese Kritik aus ganz anderen politischen Lagern kennt. Bevor es jedoch zur letzten Gabriel-Show kam, bereitete man fein säuberlich die Krönung des Herrn Schulz vor. Der Spiegel vermeldete am 3. September 2016:
„Sollte Schulz im kommenden Jahr für den Bundestag kandidieren, wird ihm sein Landesverband Nordrhein-Westfalen den sicheren Listenplatz 1 zugestehen. Dies ist das Ergebnis interner Sondierungen.“
Fast 3 Monate später, fand sich diese Meldung in der Presseerklärung von Martin Schulz wieder. 5 Tage nach dieser Information, also am 29. November 2016, erklärte die Nordrhein-Westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gegenüber der Rheinischen Post, dass sie wisse wer Kanzlerkandidat würde, aber sie verrate es nicht. Es braucht schon jede Menge Phantasie um zu glauben, dass die beschriebenen Fakten, reine Zufälle gewesen sind und letztendlich Sigmar Gabriel mit seinem Stern Interview den Weg für die Kanzlerkandidatur von Martin Schultz freigemacht hat.
Eher waren es die Strategen in der Parteietage der SPD, die die Gespräche im Hintergrund führten und Medientermine besorgten. Darunter war zum Beispiel die Buchvorstellung seiner Biografie „Martin Schulz – vom Buchhändler zum Mann für Europa“ am 14. Oktober 2016 im Berliner Büro des Börsenvereins. Anwesend waren 50 Vertreter der hiesigen Medien und die Fernsehstationen ARD, ZDF und RTL.
Öffentliche Termine von Martin Schulz in den letzten Wochen des Jahres
- 25. September 2016 ARD – Anne Will
- 09. Oktober 2016 Dresden Festspielhaus Hellerau – „2gather“-Kongress
- 09. Oktober 2016 Leipzig Nikolaikirche – „Rede zur Demokratie“
- 10. Oktober 2016 Martin Schulz zu Gast bei Audi
- 10. Oktober 2016 Passau Medienzentrum – „Menschen in Europa“
- 14. Oktober 2016 Berlin Börsenverein Buchvorstellung
- 27. Oktober 2016 Aachen RWTH – Vortrag: Aufbruch in Europa – Mit Herzblut und Leidenschaft
- 09. November 2016 Kiel RBZ Wirtschaft – öffentliche Interviewreihe „Stegner trifft …“
- 18. November 2016 Minden – Mindener Werteforum
- 02. Dezember 2016 Berlin Belevue – Verleihung des Großen Verdienstkreuzes mit Stern und Schulterband des Verdienstordens
Hinzu kommen unzählige Interviews in den Printmedien und den einschlägigen TV-Sendungen. Dafür das Martin Schulz noch bis Ende Dezember Präsident des Europäischen Parlaments gewesen ist, waren dies beachtlich viele Termine. Bis auf einen, sogar alle außerhalb seines Wahlkreises Aachen. Respekt für diese Leistung! Zeitgleich wurden Umfragen veröffentlicht, in denen der bessere SPD-Kanzlerkandidat ausgerufen wurde. Unter Berufung auf den stern-RTL-Wahltrend hieße es am 12. Oktober 2016 in einem Stern Artikel
„AfD rutscht weiter ab – Schulz wäre besserer Kanzlerkandidat“
Betrachtet man das Vorgehen, kann es dafür nur eine Erklärung geben. Der Bekanntheit des Lieblingskanzlerkandidaten sollte gesteigert werden.
Der Hype um Schulz
Am 24.01. 2017 waren die Fronten geklärt. Schulz hatte den Machtkampf gewonnen. Einen Tag nach der Entscheidung präsentierte der ARD Deutschlandtrend eine extra-Ausgabe. Bei einer Direktwahl des Bundeskanzlers, so die Meinungsforscher von Infratest-dimap, zog Schulz mit der Kanzlerin mit 41 Prozent gleich. Was für ein bewundernswerter Aufstieg des Buchhändlers aus Würselen.
Des Mannes, der in seiner Heimatstadt einst ein Millionengrab in Form eines Spaßbades hinterließ, das noch heute rund 1 Million Schulden pro Jahr macht. Und bevor er sich der ehemalige Bürgermeister Schulz als EU-Abgeordneter aus den Staub machte, schmetterte er ein Bürgerbegehren ab, bei dem sich 4000 Einwohner mit ihrer Unterschrift gegen das Spaßbad wehrten. 35.000 Menschen wohnten damals in der Stadt.
Das es Martin Schulz in seinen Leben nicht immer leicht hatte, darf man ihn getrost zugestehen. Und so manche Jugendsünde aufzuzählen verbietet die Fairness. Doch allzu gern spielt er selbst mit der Vergangenheit. In seiner Antrittsrede als Kanzlerkandidat der SPD am 29. Januar 2017 heißt es:
„Ich habe diesen Respekt, auch weil ich aus eigener Erfahrung weiß, dass manche Wege steinig und beschwerlich sind und dass man auch vom Weg abkommen kann“.
Selbst wenn man ihm diese gut inszenierte Vergangenheitsbewältigung zugesteht, fragt man sich doch was es so mit dem Lieblingssatz des Kandidaten „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ auf sich hat. 280.000 € Netto verdiente Martin Schulz laut dem Debattenmagazin „The European“ in den letzten Jahren. Zusammengesetzt aus Kostenpauschalen, Residenz- und Repräsentationszulagen, Sitzungspauschalen (bis 2014) und einen Grundgehalt mit reduzierten Sozialversicherungsabgaben in Höhe von 12 %. Da staunt die Kassiererin im Supermarkt und der Bauarbeiter um die Ecke, wie gerecht es doch in dieser Welt zugeht. Man möchte den SPD-Mitgliedern ihren eigenen Slogan empfehlen – „Mehr Zeit für Martin“!
Doch all die ständigen Medienberichte und die Aktivitäten der jungen Genossen in den sozialen Medien, verfehlten ihre Wirkung nicht. Tausende Parteieintritte vermeldete die SPD und beste Umfragewerte die Meinungsforschungsinstitute. Die SPD überholte nach Letzteren, sogar die CDU/CSU in der Sonntagsfrage. Der Schulz-Effekt war in aller Munde.
Und das alles ohne eine konkrete politische Aussage. Eine Abkehr von politischen Reformen, wie der Verlängerung des Arbeitslosengeldes ist mit Sicherheit noch keine Reform. Ein Europa welches tief zerstritten und gespalten ist, als erhaltenswert darzustellen, ist noch keine Strategie für die Zukunft. Und ein Land welches wirtschaftlich eines der erfolgreichsten in der Welt ist, nur schlecht zu reden – ist reine Polemik. Der gegenwärtige Innenminister der großen Koalition, bezeichnete dieses Auftreten, als populistisch und Dampfplauderei.
Auf dem Parteitag der SPD, bei dem Herr Schulz mit 100 % Zustimmung gewählt wurde, vertröstete Schulz die Genossen auf den Programmparteitag im Juni. Ein paar Monate muss der Wähler also noch auf konkrete Wahlaussagen warten. Derweil kann er ja noch ein paar Mal „Martin“ rufen, so wie es der jetzige Parteichef am 08. März beim SPD-Landesparteitag in Würzburg von seinen Anhängern gefordert hatte.
Der Souverän der Wähler und das Ende des Schulz-Effekts
Noch einmal konnten die Medien über 100 Prozent Zustimmung berichten. Was spätestens seit Anfang September fest geplant war, wurde im Bundesland Nordrhein-Westfalen am 25.03.2017 von der „Basis“ abgesegnet. Auf der Delegiertenkonferenz der NRW-SPD in Münster bekam Martin Schulz wieder einmal den höchsmöglichste Zuspruch. Diesmal für den Listenplatz 1 bei der Bundestagswahl im September. Das von den 423 Anwesenden 8 nicht abstimmten und 5 Stimmen ungültig waren, wollten die Medien und die Strategen der SPD nicht hören. Der Schulz-Zug musste weiter rollen. Doch es sollte vorerst die letzte Jubelbotschaft gewesen sein.

Wenig überraschend, entschied sich der Wähler im Saarland gegen den „Schulz-Effekt“. Nichts wurde aus einer Rot-Rot-Grünen Koalition. Über 40 Prozent wählten die CDU, unter 30 Prozent die SPD. Und plötzlich änderten sich auch die Umfragewerte der SPD für die Bundestagswahl nach unten. Es scheint als hätte die SPD einen Marathon gestartet bei der ihr schon nach 15 km die Luft ausgeht und die Zuschauer das Ziel mit dem Start verwechselt hatten. Auch wenn sich die Wiedergabe der politischen Stimmungslage, so langsam wieder den Realitäten annähert, bleiben Fragen offen.
Was sind eigentlich die heutigen Umfragen noch wert? Wieviel Verantwortung haben die Institute die diese veröffentlichen? Sind Telefonumfragen noch im Trend der heutigen Zeit? Oder haben wir es längst gelernt, am Telefon fremden gegenüber unsere Gedanken gut zu verbergen? Ähnlich so, wie wir es mit unseren Identitäten im Internet tun?
Und für so manchen Vertreter der Medien, bleibt die Aufforderung, etwas genauer die Prozesse der Politik zu beachten. Sie sollten es am besten wissen, dass ein politischer Hype nicht von ungefähr kommt. Und schon gar nicht dann, wenn der Kandidat ein erfahrener Politprofi ist.
Die Welt ist schön, wenn Du sie änderst!