
Langsam gewöhnte ich mich an die Anwesenheit der eigenen Mutter im Hort. Ihr gefiel es inzwischen so gut, dass sie sich entschloss Pädagogik zu studieren. Schon in den Jahren zuvor erhielten wir des Öfteren, Besuch von dem Bruder meines Vaters. Als Kinder haben wir uns immer darüber gefreut. „Ick hab ja janich jeckiickt“ – diesen Satz erschuf ich 1971, als ich in einer delikaten Situation ein bisschen zu neugierig war. Es sollte mein Onkels Lieblingszitat werden. Eines Tages war er wieder da. Neugierig bestaunen wir den neuen Wagen. Er sah so irgendwie anders und viel schicker aus, als die Fahrzeuge die sonst auf unserer Straße vorbeifuhren. An dem Fahrzeug klebten merkwürdige Dinger die sich abziehen ließen. Das war für uns ziemlich unerklärlich und zugleich faszinierend.
Am 1.8.1975 wird die KSZE Schlussakte von Helsinki unterzeichnet und ein halbes Jahr später, öffnet der „Palast der Republik“ zum ersten Mal. Ich ging zu jener Zeit zum Pastor der Gemeinde zu einem besonderen Unterricht. Was mir gefiel, war nur eines. Es gab auch diese „Aufkleber“. Dummerweise waren die Motive völlig anders als die auf dem Auto des Onkels. Die Lieder die wir dort sangen, klangen befremdlicher als in der Schule und überzeugten mich überhaupt nicht. Also beschloss ich mit 10 Jahren das Ende meiner Kirchenkarriere. Meine Mutter überzeugte ich, indem ich ihr sagte, dass es mir gar nicht gefällt, dass der Herr in merkwürdigen Gewändern auftritt und mir von Engeln erzählt.
Ein Jahr nachdem die DDR in der Fußballweltmeisterschaft die Bundesrepublik mit 1:0 bezwang, hätte ich am liebsten auch gern Sparwasser, Kurbjuweit und Lauck nachgeeifert. Auf unseren Schulhof waren 2 Holztore aufgebaut. Beste Bedingungen also. Meine Gesundheit ließ jedoch zu wünschen übrig. 56 Tage fehlte ich im 3. Schuljahr. Eine Note im Fach Sport bekam ich nicht. Stattdessen packten wir alle 2 Tage die Sachen und fuhren über Berlin zu einem alten Doktor. Der Herr Dr. Mittenzwei war sehr freundlich und tat alles damit es mir wieder besser geht. Ich bekam dann so ein Zauberspray, mit dem in ein paar Sekunden die größte Not vergessen war. Da es ohne Einschränkungen beim Spielen nicht ging, begann ich mich für die Natur und das Wetter zu interessieren. An Literatur konnte ich über das Thema nicht genug bekommen. Eifrig kletterte ich an mein Thermometer und beobachtete Wolken und Wind. Anschließend schrieb ich die gemachten Erkenntnisse gewissenhaft nieder.

An einem Herbsttag ging ich ein bisschen spazieren. Vorbei an der Kaserne der Russen, die gern DDR Erzeugnisse gegen Machorka eintauschten. Aus einem Kellergitter ragte eine kleine Pflanze heraus. Ich öffnete das Gitter und fand darin eine Kastanie, aus der diese gewachsen war. Stolz ging ich nach Hause und grub diese vorsichtig in unseren kleinen bescheidenen Garten ein. Ich sah jeden Tag nach ihr. Es sollte ein richtiger Kastanienbaum werden, der heute noch steht. Wenn es mir gut ging, nahm ich das Fahrrad und umfuhr unseren Konsum. Dem Hof umgab eine Einfahrt und eine Ausfahrt damit der Konsum beliefert werden konnte. Als ich an einem schönen Sommertag, gerade noch die Kurve bekam, war jedes Bremsen für mich unmöglich und ich fuhr den auf einer „Schwalbe“ wartenden Bürgermeister über den Haufen. Der ließ es sich natürlich nicht nehmen, meine Eltern auf ihre Aufsichtspflichten hinzuweisen.
Die gleiche Situation wurde dann Bimbo zum Verhängnis. Bimbo eine Katze, war unser erstes und für lange Zeit einziges Haustier. Die Trauer war groß als er nicht mehr da war. Ansonsten gab es jede Menge Tiere im Dorf. Am liebsten mochte ich die Kühe, die in der Nähe unseres Schulhofes standen. Als Kinder sind wir oft zur Landebahn des Flughafens Schönefeld gegangen. Es war faszinierend diese großen Maschinen zu sehen, die manchmal sogar zur Begrüßung hin und her wackelten. Wenn es uns nicht erlaubt war bis zur Landebahn zu gehen, dann sind wir wenigstens zur Autobahn gegangen um uns die verschiedenen Fahrzeuge anzuschauen, die sich auf der Transitautobahn befanden.
Ab und zu verirrte sich sogar der eine oder Opel in unser Dorf. Inzwischen hatten wir das Abziehen von Aufklebern zur Perfektion gebracht um sie anschließend als Trophäen nach Hause zu tragen. 1975 durfte ich das blaue gegen das rote Halstuch tauschen um fortan als Thälmann-Pionier auf das Leben im Sozialismus vorbereitet zu werden. Während wir bisher vor Beginn der 1. Unterrichtsstunde ein Lied namens „Zwischen Berg und tiefen tiefen Tal…“ trällerten, hieß es von nun an vom Klassenlehrer „Für Frieden und Sozialismus – Seid bereit!“ – Worauf dieser, dann ein kämpferisches „Immer bereit!“ erwartete. Im Gegensatz zu früheren Zeiten, blieb die ausgestreckte Hand nicht auf halber Höhe stehen, sondern ging quer über den Kopf, wobei der Daumen in Richtung der Nase zeigte.
Wenn es für meine Eltern zeitlich nicht anders machbar war, waren wir bei unserer einzig erreichbaren Oma in Berlin untergebracht. Sie hatte jede Menge Katzen und irgendwie die Übersicht über die hygienischen Erfordernisse verloren. Daher waren wir immer froh, wenn es wieder nach Waltersdorf ging. Auf dem Weg dahin, fuhren wir mit der S-Bahn an der „Berliner Mauer“ vorbei. Ohne zu ahnen, was für ein Leid dieses Bauwerk über die Menschen bringt, war ich immer wieder davon fasziniert, in welchem fantastischen Weiß sie angestrichen ist. Hinter dem Bauwerk standen jede Menge Hochhäuser die einen ähnlichen Farbton hatten. Oft habe ich mich gefragt, welche Sprache die Menschen dahinter sprechen.
Erich Honecker wird am 29.10.1976 zum starken Mann in der DDR ernannt. Nur einen Monat zuvor, hatten wir unsere Sachen gepackt um in die Stadt Weißwasser in der Oberlausitz zu ziehen. Mein Vater führte nun ein Kaufhaus in dem es alle Produkte gab, die die DDR zu bieten hatte. Meine Mutter war inzwischen Hortnerin in der Schule, in der ich bis zum Ende meiner Schulzeit ging. Jede noch so kleine Verfehlung war ihr innerhalb von Stunden bekannt.

Die Oberlausitz war völlig anders. Und vor allem war die Berliner Sprache hier nicht so gefragt. Der Klassenlehrer fand dass ich eindeutig zu ruhig war und setzte mich schon nach ein paar Tagen neben den „starken Mann“ in der Klasse. War ich bisher, auf Grund meines nicht so besonders guten Gesundheitszustandes, einen einfühlsamen Umgang gewohnt, herrschten nun auf einmal ganz andere Sitten. Eine pädagogische Fehlentscheidung. Es war zumindest bis zum Ende der 8. Klasse, keine besonders schöne Zeit. Und dennoch hatte ich großes Glück. Nur wenige Monate nach dem wir umgezogen waren, löste sich meine Krankheit in Luft auf. Zum ersten Mal in meinem Leben zog ich richtige Fußballschuhe an und kickte in einem Verein. Das uns unsere Mutter, nach dem Fußballspiel zum Umziehen in den Keller verdonnerte, haben wir ihr schnell verziehen.
Am 26.08.1978 flog Sigmund Jähn an einem Samstag in das Weltall. Mein Vater hatte Tage vorher die Order bekommen, alle Fernseher die die sozialistische Fernsehwelt zu bieten hat, in die großen Schaufenster zu stellen und in Betrieb zu nehmen. Die DDR-Führung legte Wert darauf, dass es der erste Deutsche war, der sich die Erde von oben ansah. Im September 1982 begann dann der Ernst des Lebens. Ich hatte mich für eine Laufbahn als Koch entschieden. „Ein Koch darf niemals einen schlechten Tag haben“, sagte der Chef der Handelsorganisation am ersten Tag zur Begrüßung. Einen Satz den ich niemals vergessen habe….