In den „alten“ Medien ist es Mode geworden, jeden 2. Satz mit einer Bemerkung über die sozialen Medien einzuleiten. Gern wird die zur Floskel verkommene Aussage, auch zum Einstieg in einem Beitrag verwendet.
Das wirkt jung, frisch und dynamisch.
Die Redewendung „Aufschrei in den sozialen Medien“ oder den Begriff „Shitstorm“ haben wir alle schon gehört. 3, 6 Millionen Nutzer hat der von mir geschätzte Kurznachrichtendienst Twitter. Das sind gerade einmal 4,46 Prozent der deutschen Bevölkerung. Das reicht noch nicht einmal zum Einzug in den Deutschen Bundestag, wenn das soziale Medium eine Partei wäre. Rechnet man noch einmal die Nichtwähler von 30 Prozent heraus, wäre die „Twitterpartei“ eine kleine Splitterpartei von 3,1 Prozent.
Also fragt sich doch der genervte TV-Zuschauer, warum dies alles? Meiner Meinung nach, ist es die Angst, eines Tages ohne Zuschauer dazustehen. Wenn ich an den immer noch lodernden Streit um die Tageschau-App denke, hätte diese Furcht für die Öffentlich-Rechtlichen Sender sogar noch eine gewisse Berechtigung. Durchdenkt man die oben aufgeführten Zahlen, ist es bis zum Abgesang des Fernsehens als Hauptinformations- und Unterhaltungsmedium, noch ein langer Weg.
Die immer wieder kehrenden Kommentare über die Inhalte in den sozialen Medien, birgt etliche Gefahren. Erinnern wir uns nur an den Hashtag #ThisisACoup. Auch in Deutschland wurde dieses Schlagwort im Sinne des Schöpfers, heftig kommentiert oder weitergeleitet. Der Hashtag bedeutet im Deutschen, „Das ist ein Staatsstreich“. War es denn wirklich ein Staatsstreich oder gab es andere Gesetzmäßigkeiten? Wie sahen die Tatsachen aus? Europa war wieder einmal angetreten um ein Land vor dem Euro-Aus zu retten. Der deutsche Finanzminister wollte einen anderen Weg einschlagen und die Griechen von einem geordneten zeitweisen Austritt aus dem Euro überzeugen.
Vorschläge sind dafür da, um gemacht zu werden. Darüber zu diskutieren um sie am Ende zu verwerfen oder zu übernehmen, ist der Grundgedanke jedes Verschlages. Vorschläge für einen Grexit gab es von führenden Wirtschaftsökonomen schon lange. Nachrichtensender wie n-tv und n24 erzählten uns schon seit mehreren Monaten, wie ein Austritt aus den Euro von statten gehen könnte. Wir waren alle also bestens darauf vorbereitet. Doch beim Kurznachrichtendienst drohte die Welt unterzugehen Ein multimediales Feuerwerk der Missstimmung, gepaart mit Hass, musste der deutsche Finanzminister über sich ergehen lassen.
@fkmoegelin schäuble ist jedenfalls eine null in doppelter hinsicht-schwarzgeld-gelogen,typischer neokonservativer ,chauvinist
— heise (@forensiker1998) 12. Juli 2015
Doch noch während die Kritiker ihren „Unmut“ über das internationale Großkapital auslebten, bastelte man in Griechenland selbst an einem Ausstiegsszenario. Als dieser Umstand nur 14 Tage nach dem Euro-Gipfel bekannt wurde, herrschte bei den Kritikern das große Schweigen.
Sascha Lobo einer der selbsternannten Internetpäpste, schrieb 2013 im Spiegel über die sozialen Medien und den Hashtag als digitale Straßenversammlung. Die freie Meinungsäußerung ist für uns alle ein hohes Gut. Aber wie frei ist man, wenn einige wenige die Möglichkeit des Missbrauchs des Mediums erkannt haben und denen dann ohne zu prüfen gefolgt wird?
Verbieten kann man es nicht. Ich möchte mein Land nicht in der Social Media Tradition der Türkei oder China sehen. Umso mehr, sollte sich jeder bewusst werden, dass Freiheit in der Sprache, auch Verantwortung heißt. Die sogenannten „alten“ Medien“ sollten gern einmal genauer hinschauen, wer am Ausgangspunkt eines Hashtags steht und wer diese für politische Zwecke geschickt zu nutzen weiß.
Das es geht, bewies die ARD-Kommentatorin Anja Reschke in den Tagesthemen der ARD am 05.08.2015. Dabei bezog sie in ihrer viel beachtete Kritik zu den sozialen Medien, leider nur auf nur einziges Thema – den Umgang mit Flüchtlingen.
„Im Internet wird die Hetze gegen Flüchtlinge immer aggressiver. Doch Strafverfolgung alleine reicht nicht. Die Hassschreiber müssen kapieren, dass die Gesellschaft diese üblen Beschimpfungen nicht akzeptiert. Jeder müsse jetzt Haltung zeigen!“
Da stellt sich die Frage, ob man bei den Öffentlich-Reichlichen nach politischer Ausrichtung unterscheidet? Kommt die menschenverachtende Meinung aus der rechten Ecke, ist es (zurecht) Hetze und Hass. Werden Häme und Spott jedoch aus anderen politischen Richtungen geäußert, dann ist es, das sich regende soziale Gewissen. Das passt doch nicht zusammen! Wo ist der Unterschied zwischen Fremdenhass und geteilte Bilder die im Rahmen von #ThisisACoup deutsche Politiker/innen in Naziuniform zeigen?
Der Grad ist schmal, auf dem so manche Aussage in den sozialen Netzwerken wandert. Für mich spielen politische Richtungen eine untergeordnete Rolle. Das mag auch mit der Grund sein, warum ich die Unterteilung in gute und böse „Anfeindungen“ als absurd empfinde.
Es ist entscheidend, wie der Mensch sich über andere Menschen äußert und ob deren Achtung und Würde bei Auseinandersetzungen bewahrt wird.
Dass Facebook, Twitter, YouTube und viele weitere Angebote im Internet, inzwischen zu einem Tummelbecken für politische Aussagen geworden sind, haben wir unter anderen den Amerikanern zu verdanken. Das Barack Obama am 04. November 2008 der 44. Präsident der USA wurde, war letzten Endes ein Resultat der Existenz der sozialen Medien. Es war sozusagen der Prototyp für politische Erfolge im Internet.
Das war es aber auch schon mit den Erfolgen. Es folgte der Arabische Frühling 2011. Dieser wurde auch gern als „Facebook-Revolution“ bezeichnet. Geblieben sind davon Länder wie Syrien die im Chaos der Gewalt erstarren. Ein Land wie Ägypten das einen Diktator als Staatschef besitzt oder ein Land wie Tunesien das täglich um seine politische Stabilität kämpft.
Geblieben ist außerdem ein Land wie die Ukraine, die durch den Hashtag #Euromaidan berühmt wurde. Aus der von deutschen Politikern und Medien hofierten Bewegung, ist heute ein gespaltenes Land hervorgegangen. Damals wurde uns in den vielen Live-Berichten, Tweets oder anderen Statusmeldungen verschwiegen, dass die Bewegung einen sehr unangenehmen Teil enthält – den rechten Sektor. Oder denken wir nur daran, wie extremistische Organisationen in der Welt, die sozialen Medien missbrauchen.
Da werden Menschen verführt um in Kriege zu ziehen, um zu töten oder selbst dafür zu sterben.
Zusätzlich ist die „digitale Straßenversammlung“ längst zum Werbemedium verkommen und damit Ausdruck von wirtschaftlichen Adressen. Seit 2014 wird die Timeline bei Twitter mit Tweets aufgefüllt, die das Unternehmen für wichtig hält und die ich unbedingt lesen müsste. Gestern erst wurde bekannt, dass für Direktnachrichten die 140 Zeichen Grenze fällt. Ein Paradies für Werbetreibende und für Personenkreise die ich im Artikel beschrieben habe.
Es ist an der Zeit, dass sich jeder bewusst wird, dass der größte Hype um eine politisches Position oder Person, eine Finte derer sein kann, die eigentlich andere Ziele anstreben. Gefordert sind auch die „alten Medien“! Nicht jeden Hashtag der in den Charts landet, ist als Ausdruck des Willens einer Mehrheit in den sozialen Medien zu bewerten.
Die Welt ist schön, wenn Du sie änderst!